1. Herstellung von Nitrocellulose
Ausgangsstoff für die Nitrocellulose ist die Cellulose, wobei die der
Baumwolle am geeignetsten ist. Als bestes Rohmaterial sind Abfälle aus den
Baumwoll- und Garnspinnereien zu nennen (BAK R25/132, KEDESDY 1909). Sie
bildeten im 1. Weltkrieg die Rohstoffbasis zur Produktion von Nitrocellulose.
Daneben wurde Rohbaumwolle (Linters) sowie Holzcellulose (Sulfitcellulose)
eingesetzt. Letztere wurde auch schon im 1. Weltkrieg benutzt. Sie fand ab den
30er Jahren im steigenden Maße Verwendung (BA/MA RH 3/252, BAK R25/132, VOIGT
1913).
Die zweite wesentliche Komponente ist die Nitriersäure. Sie besteht aus einer
Mischung von Salpetersäure und Schwefelsäure. In Abhängigkeit vom benötigten
Stickstoffgehalt muß bei höher nitrierten Nitrocellulosen die Schwefelsäure
durch Oleum ersetzt werden (BA/MA RH 3/252). Oleum ist eine Lösung von
Schwefeltrioxid in konzentrierter Schwefelsäure.
Die Bilder 2-2 und 2-3 stellen den Rohstoffbedarf und Säurefluß für die
Herstellung von Nitrocellulose mit einem Stickstoffgehalt von 11,0 - 11,2 %
(sog. Collodiumwolle) bzw. 13,2 - 13,2 % (sog. Schießbaumwolle) dar. Während
die Herstellung von Collodiumwolle nur den Einsatz konzentrierter Schwefelsäure
verlangte, war bei der Erzeugung von Schießbaumwolle die Verwendung von Oleum
erforderlich. Im Gegensatz zu den Nitrierungen anderer organischer Körper trat
hierbei ein starker, z. T. sogar restloser Verlust des eingesetzten Oleums auf,
der durch die große Verdünnung der Schwefelsäure beim Waschprozess bedingt
war, die eine Wiederkonzentration der Säure unwirtschaftlich machte (BA/MA RH
3/252).
Der Herstellungsvorgang läßt sich in die vier Teilbereiche
- Aufarbeitung der Cellulose,
- Nitrierung der Cellulose,
- Waschen und Stabilisierung sowie
- Säureregeneration
gliedern.
.i.Bild 2-2 Collodiumwolle - Herstellung - Rohstoffbedarf ;
.i.Bild 2-3: Nitrocellulose - Herstellung - Rohstoffbedarf ;
Der Verfahrensgang wird u. a. bei ESCALES, ECKELT, KAINER, KEDESDY, ULLMANN,
VOIGT sowie in BIOS 1039, CIOS XXVII-73, CIOS XXXII-86 in unterschiedlicher
Ausführlichkeit beschrieben (ECKELT 1926, ESCALES 1905, KAINER 1950, KEDESDY
1909, ULLMANN "Sprengstoffe" 1965, VOIGT 1913).
Verfahrensveränderungen, die wesentliche Auswirkungen auf das
Kontaminationspotential bewirken, sind jedoch im betrachteten
Bearbeitungszeitraum nicht zu verzeichnen. Auf der Grundlage der o. g. Quellen
ergibt sich das in Bild 2-4 dargestellte Verfahrensschema.
Aufarbeitung der Cellulose
Aufgrund der hohen Reinheits-Anforderungen, die an die zu nitrierende Cellulose
gestellt werden, müssen abhängig von den eingesetzten Rohmaterialien (i. w.
Baumwolle oder Holzzellstoff) unterschiedliche Aufarbeitungsschritte
durchgeführt werden.
Aufarbeitung von Baumwolle
Sowohl die Rohbaumwolle als auch die Baumwollabfälle bedürfen vor der
Nitrierung einer Reinigung. Die Rohbaumwolle enthält eingetrocknete
Zellstoffreste, Protoplasma und deren Zersetzungsprodukte, Pflanzenleime und
-fette etc., die entfernt werden müssen. Bei der Abfallbaumwolle kommen noch
Verunreinigungen wie Maschinenöl, Schweiß, Staub etc. hinzu (VOIGT 1913).
Werden diese Verunreinigungen nicht entfernt, so können z. B.
Selbstzersetzungen und Brände beim Nitrieren auftreten und die
Lagerbeständigkeit der Nitrocellulose wird herabgesetzt bzw. der Aufwand zum
Stabilisieren wird beträchtlich größer. Auch die Anwesenheit von
Metallteilchen ist zu vermeiden, da sie sich nur schwer von der Faser auswaschen
lassen und dann katalytische Zersetzungsvorgänge einleiten können (VOIGT
1913).
Bild 2-4
Zur Reinigung der Baumwollen sind unterschiedliche Methoden in Gebrauch.
Üblicherweise wird die Baumwolle in Chargen von 3.000 kg in einem Autoklaven
unter Druck mit einer 1 - 3 %ige Natriumhydroxidlösung etwa 2 - 6 Stunden lang
gekocht. Die Temperatur beträgt 105 - 140 °C. Die enthaltenen Fette und
harzartigen Verbindungen werden unter diesen Bedingungen gelöst (URBANSKI
1965). Zusätze von Rizinusöl oder Türkischrotöl verbessern diesen Vorgang.
Unter Türkischrotöl oder Sulforicinat wird ein Gemenge aus verschiedenen
Verbindungen, insbesondere aus Ricinusöl, Ricinolsäure und
Dihydroxystearinsäure sowie deren Schwefelsäureester und aus Lactonen,
Anhydriden und Polymeren der Ricinolsäure verstanden (RÖMPP 1989/92). Daneben
werden Calciumchloridhypochlorid (sog. Chlorkalk) oder Natriumhypochlorid
eingesetzt. Zur Entfernung von Mineralölverunreinigungen auf der Baumwolle wird
auch das sog. Tetrapol, ein Mittel, das i. w. aus Tetrachlormethan und
Tetrachlorethen besteht, verwendet (KEDESDY 1909, VOIGT 1913, ULLMANN
"Gespinstfaser, Chemische Veredelung" 1919). Nachdem dieser Vorgang
abgeschlossen ist, wird der Autoklav entleert. Die behandelte Baumwolle wird
anschließen mit Wasser gewaschen, um Reste der Lauge zu entfernen. Der
Wasserverbrauch beträgt 150 m3 pro Tonne Baumwolle (URBANSKI 1965).
Aufarbeitung von Holzzellstoff (Sulfitzellstoff)
Bei der Verwendung von ungebleichtem Holz- bzw. Sulfitzellstoff als
Rohstoffbasis ist eine Bleichung erforderlich. Eine Möglichkeit besteht darin,
Calciumdisulfit-Lösungen einzusetzen (sog. Sulfit-Bleiche). Der
Behandlungsvorgang wird für ca. 7 - 30 Stunden bei einer Temperatur von 120 -
145 °C durchgeführt (URBANSKI 1965). Bei der sog. Sulfat-Bleiche wird eine
Bleichlösung von Natriumhydroxid, Natriumsulfid und Natriumcarbonat in einem
Verhältnis von 65 : 15 : 20 verwendet. Die Konzentration der Lösung beträgt
10 - 12 % bezogen auf die Natronlauge. Die Temperatur wird auf 170 - 175 °C
eingestellt. Der Bleichvorgang dauert ca. 6 Stunden (URBANSKI 1965).
Weiterhin können Chlorkalk oder sog. elektrolytische Bleichlaugen eingesetzt
werden (BAK R25/132). Elektrolytische Bleichungen werden auf elektrochemischem
Weg hergestellt. Als reaktive bzw. bleichende Komponente dient auch hier
Natriumhypochlorid (ULLMANN "Chlorbleichungen" 1916).
Nach dieser Vorbereitung der Rohstoffe, die in Apparaten unterschiedlicher
Ausführungsform durchgeführt wird (vgl. hierzu ECKELT 1926), erfolgt ein
gründliches Waschen in den Apparaten. Anschließend wird das überschüssige
Wasser abgeschleudert. Die geschleuderte Cellulose wird in einer
Naßzupfmaschine in kleine Flocken zerteilen und gelangt dann zur Trocknung.
Diese erfolgt unter Vakuum in Zylindern oder Trockenschränken, bis die
Cellulose nur noch einen Restfeuchtigkeitsgehalt von 1 % enthält (VOIGT 1913,
ECKELT 1926).
Während des 2. Weltkrieges wurden in Deutschland auch sog. pneumatische
Trockner entwickelt, wie sie auch aus anderen Industriezweigen schon bekannt
waren. Das Prinzip beruht darauf, daß die Cellulose in einen Strom heißer Luft
eingespeist und mit ihr bewegt wird. Die Temperatur beträgt bei dem
Trocknungsvorgang ca. 80 - 110 °C. Der Restfeuchtigkeitsgehalt beträgt ca. 2 %
(URBANSKI 1965).
Nitrierung der Cellulose
In dem sogenannten Nitrierwerk erfolgt die eigentliche Nitrierung der Cellulose
mit der Nitriersäure. Diese wird in Abhängigkeit vom gewünschten
Stickstoffgehalt der Nitrocellulose durch Mischen von Schwefelsäure,
Salpetersäure und Wasser eingestellt. In der Praxis beträgt das
Mischungsverhältnis ca. 2,5 - 3 Schwefelsäure zu Salpetersäure (URBANSKI
1965). VOIGT beschreibt die ursprüngliche Verfahrensweise folgendermaßen
(VOIGT 1913):
"Anfänglich wurde die Nitrierung in Anlehnung an die Laboratriumsversuche
in Töpfen oder in gußeisernen Kästen vorgenommen. Die Baumwolle wurde mittels
eiserner Gabeln in die Säure eingetaucht und dann wurde die überschüssige
Säure auf einem Rost wieder abgepreßt, so daß die Säure in den Kasten
zurückfloß. Die ausgedrückte Baumwolle wurde in Chargen zu je 1 kg in
Tontöpfe gefüllt, in denen sie 12 bis 24 Stunden verblieb, um
"nachzunitrieren". War ungefähr die Hälfte der Mischsäure im Kasten
verbraucht, so wurde frische Säure nachgefüllt, bis ein bestimmter
Wassergehalt erreicht war, worauf dann die "Abfallsäure" denitriert,
d. h. auf Schwefel- und Salpetersäure verarbeitet wurde.
Diese Arbeitsweise ergab ein gut durchnitriertes Produkt, allerdings wurde die
erwünschte Gleichmäßigkeit in der Qualität nicht immer erreicht.
Andererseits aber war das Verfahren sehr kostspielig, weil es nicht zu vermeiden
war, daß zuweilen beim Nachnitrieren Zersetzungen vorkamen, die sich auf den
ganzen Vorrat von Töpfen ausdehnten und die gesamte Tagesproduktion
vernichteten.
Bei einer anderen Arbeitsweise wurde wie folgt verfahren: Die Baumwolle wurde in
Chargen zu je 1 kg mit 25 kg Säure in eiserne Töpfe eingetragen, gründlich
untergetaucht und von Zeit zu Zeit eingedrückt, um einer Entmischung der Säure
möglichst vorzubeugen. Nach 1/2 bis 3/4 Stunde wurde die ganze Topfbeschickung
in eine Zentrifuge gestürzt, die Säure abgeschleudert und die abgeschleuderte
Schießbaumwolle wurde in die Vorwaschbottiche entleert.
Auch dieses Verfahren war wenig rationell, erforderte viele Arbeitskräfte und
großen Materialverschleiß, sowie eine intensive Beaufsichtigung, um ein
einigermaßen gleichmäßiges Fabrikat zu erzielen."
Aus diesen Vorgehensweisen entwickelten sich i. w. drei verschiedenartige
Einrichtungen zur Durchführung der Cellulosenitrierung: Nitriertöpfe und
Nitrierzentrifugen sowie das sog. Thomsenverfahren (KAINER 1950, URBANSKI 1965):
Nitriertöpfe: Sie sind aus besonders widerstandsfähigem Material
gegossen und fassen etwa 700 - 750 kg Säure. Zum Durchmischen dienen zwei
Rührer mit ineinander greifenden Armen.
Zur Durchführung der Nitrierung wird der Topf etwa zur Hälfte mit Säure
gefüllt. Auf die hierfür vorgesehene Öffnung wird ein Trichter aus
Aluminiumblech gesetzt. Die Temperatur liegt zwischen 20 - 25 °C. Unter
weiterem Säurezulauf wird dann 10 - 12 kg getrocknete Cellulose eingetragen.
Hierbei werden die Rührer eingeschaltet, um die Cellulose sofort unter die
Säure zu tauchen. Nach beendeter Zugabe von Cellulose und Säure wird noch
einige Minuten gerührt, bis ein gleichmäßiger Brei entstanden ist, der jedoch
nicht zu dünn werden darf. Die Mischung bleibt dann ruhig stehen. Etwa
vorhandene Klumpen, die sich leicht aus Baumwollstaub bilden und auf der Säure
aufschwimmen, werden abgeschöpft, da sie schlecht durchnitieren und die
Löslichkeit der Nitrocellulose beeinträchtigen. Nach einer Nitrierzeit von 30
- 60 Minuten, je nach der Arbeitsweise des Betriebes und der angewendeten
Temperatur, wird das Nitriergemisch in die im unteren Stockwerk befindliche
Zentrifuge eingelassen.
Nitrierzentrifugen: Während die Nitriertöpfe lediglich zur
Durchführung der chemischen Reaktion dienen und das Abschleudern der
verbrauchten Säure in einer besonderen Zentrifuge erfolgt, dienen die
Nitrierzentrifugen sowohl zur Umsetzung der Cellulose mit der Mischsäure als
auch zur Entfernung der überschüssigen Säure. Sie bestehen aus einem eisernen
Gehäuse auf Steinfundament, in dem sich mit senkrechter Achse eine durchlochte
Trommel von z. B. 130 cm Durchmesser dreht. Ähnlich wie bei den Nitriertöpfen
sind Rohrleitungen für den Zu- und Ablauf der Säure und ein Deckel zum
Einfüllen der Cellulose sowie ein Ventilatorenanschluß vorgesehen.
Trommel und Gehäuse werden mit Säure gefüllt. Die Temperatur beträgt ca. 20
- 30 °C. Bei langsamer Drehung wird dann getrocknete Cellulose (z. B. 11 - 15
kg) mit Aluminiumgabeln in die Säure getaucht. Die Zentrifuge wird geschlossen.
Während der Nitrierung läuft die Zentrifuge mit einer Geschwindigkeit von 20
bis 30 Umdrehungen pro Minute. Die Nitrierzeit beträgt 20 - 60 Minuten. Die
nach außen gedrängte Säure läuft über den Rand der gelochten Trommel nach
unten, dann unterhalb der Trommel in die Mitte, steigt dort hoch und tritt durch
die dort angebrachten Öffnungen wieder in das Innere der Trommel. Die Cellulose
wird also ständig radial von der Säure durchströmt. Die Nitrierzeit und die
Nitriertemperatur richten sich nach der Art der herzustellenden Nitrocellulose.
Nach beendeter Einwirkung läßt man die Säure abfließen und schleudert mit
einer Geschwindigkeit von etwa 800 Umdrehungen pro Minute die Nitrocellulose ab.
Thomson-Verfahren: Im Unterschied zu den Nitrierzentrifugen wird die
überschüssige Säure nicht abgeschleudert, sondern nach Beendigung der
Nitrierung durch langsames Zufließen von Wasser verdrängt.
Die Nitriergefäße sind hierbei von verhältnismäßig flacher Form (Pfannen
mit Deckel). Die Cellulose ruht auf einem Sieb und ist von einem weiteren Sieb
bedeckt. Nach beendeter Nitrierung läßt man die Säure langsam nach unten
abfließen und gleichzeitig von oben her Wasser mit so geringer Geschwindigkeit
zufließen, daß sich Säure und Wasser nicht mischen. Die verbrauchte Säure
bleibt längere Zeit unverdünnt, dann folgt für kurze Zeit verdünnte Säure,
und schließlich saures Waschwasser. Diese Arbeitsweise zeigt neben dem Vorzug
der Säureeinsparung auch verschiedene Nachteile. So dauert das Verdrängen der
Säure sehr lange, da sich bei zu schnellem Wasserzufluß die Säure mit Wasser
mischt, was zu einer Denitrierung der Nitrocellulose führt. Außerdem ist die
Aufarbeitung der großen Mengen an verdünnter Säure sehr umständlich. Man ist
daher von der Benutzung der Thomson-Anlage wieder abgekommen.
Abschleudern der Nitrocellulose
Nach Beendigung des Nitriervorganges wird die Nitrocellulose, wie schon
erwähnt, in Zentrifugen von der überschüssigen Säure so weit wie möglich
befreit. Hierzu dienen entweder die Nitrierzentrifugen selbst oder besondere
Schleudertrommeln, in die das Nitriergemisch langsam eingelassen wird.
Die Säuren haften so hartnäckig an der Faser, so daß trotz vielfältiger
Verfahrensvarianten eine erhebliche Menge Säure verloren geht. Um dies zu
vermeiden, wurden Zentrifugen entwickelt, in die während des Laufens
Schwefelsäure eingespritzt werden kann. Die anhaftende Säure wird aus den
bereits abgeschleuderten Fasern verdrängt. Durch Einspritzen von Wasser kann
auch die Schwefelsäure wieder gewonnen werden, allerdings nur in verdünnter
Form (KAINER 1950).
Während des 2. Weltkrieges wurde in Krümmel und Aschau ein verändertes
Verfahren angewandt (URBANSKI 1965). Hierbei wurde die Cellulose in Papierform
(Krepp) nitriert. Die Nitrierung erfolgte in einem Rührkesselreaktor. Die
Temperatur der Säure betrug 30 °C (Krümmel) bzw. 18 °C (Aschau). In Krümmel
wurden Chargen von 25 kg 30 Minuten lang, in Aschau Chargen von 21 kg 40 Minuten
lang nitriert. Die Temperatur nach der Nitrierung betrug 25 °C. Nach der
Nitrierung wurde der Inhalt des Reaktors einer Zentrifuge zugeleitet und die
Säure abgeschleudert. Die Abfallsäure wurde der Säureregeneration zugeführt
(BIOS 1039, CIOS XXVII-73, URBANSKI 1965).
Waschen und Stabilisierung
Die Nitrocellulose enthält nach dem Abschleudern noch einen Säuregehalt von
etwa 1 %. Sie wird in sog. Vorwaschbottichen mehrmals mit kaltem Wasser
gewaschen. Aus den Vorwäschern gelangt das Nitriergut in die Kocher, in denen
es mit Dampf unter fünf- bis achtmaliger Wassererneuerung stabil gewaschen
wird. Die Kocher besitzen ein Fassungsvermögen von 2 - 50 m3. Dieser
Kochvorgang kann bis zu mehreren Tagen dauern.
In der Fabrik in Krümmel wurde z. B. zum Kochen der Nitrocellulose Kocher von
14 m3 Fassungsvermögen benutzt. Die Kochdauer betrug zwischen 3 und 8 Stunden.
In Aschau wurde beim Kochen noch eine 0,5 %ige Schwefelsäure-Lösung zugefügt.
Der Vorgang dauerte zwischen 8 und 10 Stunden. In beiden Fabriken wurde mit
Druck gearbeitet (BIOS 1039, CIOS XXVII-73, URBANSKI 1965).
Zur Entfernung der letzten Säurereste und besonders der instabilen
Nebenprodukte, die sich besonders im Inneren der Fasern befinden, wird das
Nitriergut in sog. Mahl-Holländern gemahlen. Aus den Holländern gelangt die
zerkleinerte Nitrocellulose in Koch- und Rührgefäße, in denen sie stabil
gekocht wird. Sie wird anschließend in Zentrifugen bis auf etwa 30 %
Wassergehalt entwässert. In dieser Form ist die Nitrocellulose lagerfähig und
ungefährlich (VOIGT 1913, ECKELT 1926).
In der Regel wird die Nitrocellulose direkt zu Pulvern weiterverarbeitet (vgl.
Kap. B 2.2.3 ff). Zur Zwischenlagerung werden große, hölzerne, mit Deckel
versehene Kisten verwendet, die innen mit Blei oder Aluminum ausgeschlagen sind,
um eine Infizierung mit Bakterien zu verhindern (VOIGT 1913). ESCALES gibt in
diesem Zusammenhang an, daß in Deutschland zum Schutz gegen Schimmelwucherungen
eine Behandlung mit Quecksilbersublimat-Lösung (Quecksilber(II)chlorid
(Hg2Cl2)) durchgeführt wird (ESCALES 1905). VOIGT weist ebenfalls auf diesen
Sachverhalt hin. Die Nützlichkeit dieser Desinfizierung wird von VOIGT jedoch
eher als gering eingeschätzt (VOIGT 1913).
Aufgrund der vorliegenden Quellenlage ist nicht auszuschließen, daß zumindest
bis zum Beginn bzw. während des 1. Weltkrieges eine solche Behandlung
durchgeführt wurde.
Säureregeneration
Die verbrauchte Nitriersäure, die auch als Abfallsäure bezeichnet wird, läuft
aus den Nitriereinrichtungen in einen tiefer stehenden Druckkessel, von wo aus
sie mittels Druckluft in Vorratsbehälter gepumpt wird. Hier wird sie durch
Zugabe genau berechneter Mengen Salpetersäure, Schwefelsäure und/oder Oleum
aufgefrischt.
Die Abfallsäure reichert sich nach längerem Gebrauch mit Nitrocellulosefasern
an. Sie verdicken die Mischsäure und machen sie zum weiteren Gebrauch
ungeeignet, wenn nicht durch Filtration über Stein- oder andere säurefeste
Filter die Verunreinigungen entfernt werden. Die Abfallsäure wird dann
denitriert, d. h. von der darin befindlichen Salpetersäure befreit, worauf die
zurückbleibende wasserhaltige und unreine Schwefelsäure gereinigt und
aufkonzentriert wird.
Denitrierung
VOIGT beschreibt die Methoden zur Denitrierung folgendermaßen (VOIGT 1913):
Die Abfallsäure wird aus Druckgefäßen (Saftheber) in einen hochgelegenen
gußeisernen Behälter gedrückt, von wo sie kontinuierlich in einen
gußeisernen, eingemauerten und mit direkter Feuerung versehenen Kessel läuft;
der Kessel ist mit einem Überlaufrohr versehen und durch einen gußeisernen
Deckel gut verschlossen. Der Deckel hat einen engen Zulauf- und einen weiten
Abzugsstutzen. Der Kesselinhalt wird vorsichtig und schwach angewärmt und auf
90 °C gehalten, wobei nur die Salpetersäure aus dem Säuregemisch entweicht,
ohne daß Wasserdämpfe oder Schwefelsäure mitgerissen werden. Die abziehenden
nitrosen Gase werden in vorgelegten Kondensgefäßen, Tourills, Röhren oder
Türmen verflüssigt und gereinigt, während die zurückbleibende Schwefelsäure
in einen etwas tiefer stehenden Kessel aus säurefestem Guß abläuft, in dem
sie unter starker Erhitzung entwässert wird, wobei die darin befindlichen
Schießwollreste zerstört werden. Die Säure läuft hier mit einem Gehalt von
92 % Monohydrat ab und wird dann entweder weiter konzentriert oder für andere
chemische Zwecke direkt verwendet.
Eine andere Methode, die Abfallsäure zu denitrieren, beruht darauf, daß die
Säure aus einem hochgelegenen Behälter in einen mit Platten ausgelegten Turm
läuft, während ihr von unten Dampf entgegengeblasen wird. Dadurch wird die
Salpetersäure aus dem Säuregemisch ausgetrieben, zieht durch einen Stutzen in
eine vorgelegte Kühlanlage ab und kondensiert dort. Die durch das aufgenommene
Wasser verdünnte Schwefelsäure läuft unten ab und wird aufkonzentriert oder
für andere chemisch-industrielle Zwecke verwendet. Sie besitzt einen Gehalt von
etwa 45 % Monohydrat.
Aufkonzentrierung der Schwefelsäure
Die Aufkonzentrierung der verdünnten Schwefelsäure kann nach unterschiedlichen
Verfahren durchgeführt werden, z. B. nach dem PAULING- oder KESSLER-Verfahren.
Das gemeinsame Wirkprinzip der Verfahren besteht darin, daß entweder durch
direkte oder indirekte Wärmezufuhr das Wasser aus der verdünnten Säure
ausgetrieben wird. Ggf. wird konzentrierte Schwefelsäure zur Beschleunigung
dieses Vorganges eingesetzt (ULLMANN "Schwefel und
Schwefelverbindungen" 1964).
1.1 Rückstände
Als wesentliche Rückstandsquelle sind die Produktionsabwässer anzusehen.
Sie fallen bei der Aufbereitung der Rohstoffe sowie bei den Wasch- und
Stabilisierungsstufen der Nitrocellulose in erheblichen Mengen an. Insbesondere
die Abwässer aus den Reinigungs- und Bleichvorgängen bergen ein nicht zu
unterschätzendes Gefährdungspotential. Ähnlich wie bei der Zellstoffgewinnung
in der Papierindustrie ist eine Bildung chlororganischer Verbindungen bis hin zu
Dioxinen zu unterstellen. Bei Abwässern aus der Zellstoffbleiche ist dieser
Zusammenhang bereits hinreichend untersucht und bekannt (vgl. u. a. RIPPEN
"2,3,7,8-TCDD" 1992).
Des weiteren besteht die Möglichkeit, daß die anfallende Abfallsäure nicht
immer in den Produktionsprozeß zurückgeführt oder denitriert, sondern
verworfen wurde.
1.2 Kontaminationsrelevante Faktoren
Handhabungsverluste
Die Nitrocelluloseherstellung erfolgte in wäßriger Phase. Bei den
Aufbereitungsschritten, den Transportvorgängen innerhalb der
Betriebseinrichtungen (u. a. Nitrierwerk, Kochhaus) und den Wasch- und
Stabilisierungsvorgängen waren daher Handhabungs- und Abtropfverluste
unvermeidlich. Ebenso konnten beim Mischen der Nitriersäure und beim Umpumpen
der Abfallsäure entsprechende Verluste auftreten.
Bei Desinfektionsmaßnahmen an Lagerbehältern, die vermutlich mindestens bis
zum Beginn des 1.Weltkriegs durchgeführt wurden, konnten quecksilberhaltige
Verbindungen freigesetzt werden.
Emissionen
Bei der Nitrierung konnten erhebliche Mengen nitroser Gase freigesetzt werden.
Abwässer
Eine undichte Kanalisation konnte zu einer Versickerung der Produktionsabwässer
führen. Wahrscheinlich wurden die Abwässer aufgrund ihres hohen organischen
Anteils in Absetzbecken vorgeklärt und dann in den Vorfluter abgegeben oder
versickert. Eine Anreicherung chlororganischer Verbindungen in diesen Bereichen
(z. B. Kanalisation, Absetzbecken, Sedimente) ist möglich.
Rückstände
Wenn eine Klärung der Abwässer in Absetzbecken oder Schlammteichen erfolgte,
fielen entsprechende Schlämme an. Sie mußten von Zeit zu Zeit ausgeräumt
werden. Hieraus resultieren ggf. auch Schlammablagerungen bzw.
Rückstandshalden, in denen chlororganische Verbindungen enthalten seien
können.
1.3 Einschätzung der Umweltrelevanz
1.3.1 Mengenaspekte
Zu den mengenmäßig bedeutenden Stoffen bei der Herstellung der
Nitrocellulose zählen neben den eingesetzten Rohstoffen (Baumwolle, Linters,
Sulfitcellulose) die Nitriersäure (Schwefelsäure, Salpetersäure), Oleum sowie
die Aufarbeitungsmittel (Chlorkalk, Natriumhypochlorid, Tetrachlormethan,
Tetrachlorethen).
Als mengenmäßig weniger relevante Substanzen sind das Desinfektionsmittel
Quecksilber(II)chlorid sowie chlororganische Verbindungen (ggf. auch Dioxine) zu
nennen. Quecksilber(II)chlorid kommt vermutlich nur im Zeitraum bis zum Ende des
1. Weltkrieges eine Relevanz zu. Hinweise auf eine darüber hinausgehende
Anwendung liegen nicht vor.
Gasförmig auftretende Nebenprodukte wie Stickoxide sowie die eingesetzten
Rohstoffe werden aufgrund ihrer unter heutigen Gesichtspunkten geringen Relevanz
nicht weiter bewertet.
Anmerkung
Die Bewertung des hergestellten Produktes, der Nitrocellulose, erfolgt im Rahmen
des Kap. B 2.2.3.3.
1.3.2 Bodenverunreinigungen
Als Stoffe, die zur Herstellung von Nitrocellulose eingesetzt wurden und
denen von der LAGA-Liste ein bodenverunreinigendes Potential zugewiesen wird,
zählen Quecksilber und Quecksilberverbindungen, die Säuren sowie
Tetrachlorethen und Tetrachlormethan. Die aufgeführten Substanzen hatten
bereits maßgeblichen Einfluß bei der Gefahrenbeurteilung und
Sanierungsentscheidung anderer Altlastenfälle bzw. sind in der Umgebung von
Altlasten festgestellt worden. Gleiches gilt auch für die als Nebenprodukt der
Bleiche auftretenden chlororganischen Verbindungen, als deren Vertreter hier
2,3,7,8-TCDD genannt sein soll (LAGA 1991).
Säuren werden insgesamt als bodenverunreinigend eingestuft, weil sie u. a. die
Mobilisierung von Schwermetallen bewirken können (LAGA 1991).
Oleum, Chlorkalk und Natriumhypochlorid sind bislang nicht in der LAGA-Liste
verzeichnet. Eine Belastung des Bodens mit gebildeten Sulfaten und Chloriden ist
zu unterstellen. Sulfate können z. B. wegen ihrer Betonaggressivität Bauwerke
angreifen.
1.3.3 Menschliche Gesundheit
Die eingesetzten Säuren (Salpeter-, Schwefelsäure) sind als ätzend
eingestuft, was bei direktem Kontakt (ggf. vorhandene Lager- und
Reaktionsbehältnisse) zu berücksichtigen ist. Im Boden liegen die Säuren in
dissoziierter Form bzw. als Nitrat oder Sulfat vor. Die direkten Auswirkungen
auf den Menschen werden als gering eingeschätzt.
Oleum ist in der LAGA-Liste nicht verzeichnet (LAGA 1991).
Gesundheitsgefährdungen ergeben sich nach HOMMEL durch Dämpfe, die sehr stark
die Augen, die Haut und die Atemwege reizen. An den Atmungsorganen können
Glottis- und Lungenödeme hervorgerufen werden. Ein Kontakt mit der Flüssigkeit
verursacht schwerste Verätzungen und Zerstörung der betroffenen Hautpartien.
Als auftretende Symptome sind Brennen und Schmerzen der Augen, der Nasen- und
Rachenschleimhäute sowie der Haut zu nennen. Es entsteht ein sehr starker
Reizhusten und Atemnot. Des weiteren ist hinsichtlich des Arbeitsschutzes
anzumerken, daß Oleum heftig mit Metallen reagiert, wobei leicht entzündlicher
Wasserstoff entsteht. Die Substanz zerstört viele Kunststoff- und Gummiarten
nach kurzer Einwirkung (HOMMEL 1993). Aufgrund der Neigung des Oleums rasch bzw.
heftig mit Wasser zu reagieren, ist ein direkter Kontakt mittlerweile als
unwahrscheinlich einzuschätzen, wenn von dem Vorhandensein von
Lagerbehältnissen abgesehen wird.
Die anorganischen Bleichmittel, Natriumhypochlorid und Calciumhypochlorid
(Chlorkalk) können Gefahren für die menschliche Gesundheit bewirken. Nach
HOMMEL verursachen Dämpfe von Natriumhypochlorid sowie die Flüssigkeit selbst
Verätzungen der Augen, der Haut und besonders der Atmungsorgane bis hin zum
Lungenödem, das sich meist mit Stunden Verzögerung einstellt. Bei Erhitzen bis
zur Zersetzung oder bei Kontakt mit Säuren oder säurehaltigen Dämpfen werden
stark ätzende Chlorgase freigesetzt. Als Symptome sind u. a. Brennen und
Schmerzen der Augen, der Nasen- und Rachenschleimhäute sowie der Haut zu nennen
(HOMMEL 1993).
Calciumhypochlorid verursacht bei Kontakt mit den Augen Tränenfluß und
Bindehautentzündungen. Es besteht die Gefahr der Erblindung. Ein Kontakt mit
der Haut kann Blasenbildung bis hin zu Verätzungen bewirken. Ein Einatmen des
Staubes reizt die Atemwege (HOMMEL 1993).
Die zu Reinigungszwecken eingesetzten organischen Lösungsmittel
(Tetrachlormethan, Tetrachlorethen) sind nach der LAGA-Liste als sehr giftig
(Tetrachlormethan) bzw. mindergiftig (Tetrachlorethan) bezüglich der akuten
Säugetiertoxizität eingestuft. Tetrachlormethan weist ein hohes
krebserzeugendes Potential auf. Es besteht die Gefahr der Hautresorption.
Tetrachlorethen wird in dieser Liste ebenfalls ein vergleichsweise hohes
krebserzeugendes Potential zugewiesen und sein Langzeitgefährdungspotential ist
kritisch einzuschätzen (LAGA 1991).
Nach HOMMEL wirken Tetrachlormethan-Dämpfe narkotisch und bewirken
Herzrhythmusstörungen. Leber- und Nierenschäden treten mit Verzögerung auf.
Beim Erhitzen entstehen große Mengen des hochgiftigen Phosgengases und
Chlorwasserstoff. Als Symptome sind u. a. Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen,
Verwirrtheit, Benommenheit, Bewußtlosigkeit und Atemstillstand zu nennen. Es
sei auch darauf hingewiesen, daß bei einer Geruchswahrnehmung bereits
Gesundheitsschädigungen eingetreten sein können, da diese Wahrnehmung nicht
den Umfang der Gefahr andeutet (HOMMEL 1993).
Bei Tetrachlorethen handelt es sich nach HOMMEL um eine gesundheitsschädliche,
nicht brennbare Flüssigkeit. Die Dämpfe wirken betäubend und reizen bei mehr
als 100 ppm die Augen und die Atemwege. Ein Kontakt mit der Flüssigkeit führt
zu Reizungen der Augen und der Haut. Die Flüssigkeit wird über die Haut
aufgenommen. Bei Kontakt mit heißen Flächen oder offenem Feuer bildet sich
neben Chlor auch hochgiftiges Phosgengas. Symptome sind u. a. Tränen und
Brennen der Augen, Brennen der Nasen- und Rachenschleimhäute sowie der Haut. Es
treten Kopfschmerzen, Erbrechen, Schwindel, Muskelschwäche, Zittern, Unruhe,
Herzrhythmusstörungen, Rausch und Bewußtlosigkeit auf (HOMMEL 1993).
Auch von den als Verunreinigungen auftretenden chlororganischen Verbindungen
geht ein erhebliches Gefährdungspotential aus. So ist 2,3,7,8-TCDD nach der
LAGA-Liste als sehr giftig bezüglich seiner akuten Säugetiertoxizität
eingestuft. Das krebserzeugende Potential ist äußerst hoch eingestuft.
Gleiches gilt auch für das Langzeitgefährdungspotential (LAGA 1991).
Gefahren für die menschliche Gesundheit gehen auch von Quecksilber und seinen
Verbindungen aus. Nach der LAGA-Liste ist Quecksilber als sehr giftig in Bezug
auf seine akute Säugetiertoxizität eingestuft. Es kann inhalativ aufgenommen
werden. Dies gilt in verstärktem Maße für das mikrobielle Umwandlungsprodukt
Dimethylquecksilber. Das Langzeitgefährdungspotential wird sehr kritisch
bewertet, da kumulative Wirkungen zu befürchten sind. Des weiteren besteht die
Gefahr der Hautresorption, was besonders bei direktem Kontakt mit
schadstoffbelasteten Material (z. B. belastetes Mauerwerk, Boden) zu
berücksichtigen ist (LAGA 1991).
Quecksilber(II)chlorid führt nach HOMMEL zu starker Reizung und Verätzung der
Atemwege, der Lunge und der Haut. Lungenschäden bis hin zum Glottis- und
Lungenödem sind möglich. Ein Kontakt mit dem festen Stoff führt zu sehr
starker Reizung und Verätzung der Augen und der Haut. Es treten schwere
Darmstörungen, Nierenschädigungen bis hin zum Nierenversagen auf. Lösungen
können über die Haut aufgenommen werden. Als Symptome sind u. a. Brennen und
Schmerzen der Augen, der Nasen- und Rachenschleimhäute sowie der Haut,
Reizhusten, Übelkeit, Erbrechen, Leibschmerzen und Atemnot zu nennen (HOMMEL
1993).
1.3.4 Gefährdungspfad Wasser
Für die beteiligten Säuren ist nach der LAGA-Liste grundsätzlich eine
Ausbreitung über den Wasserpfad möglich. Aufgrund der zur Nitrierung
benötigten großen Mengen an Schwefel- und Salpetersäure, sowie der
anfallenden Waschwässer ist eine Ausbreitung sehr wahrscheinlich.
Schwefelsäure und Salpetersäure sind als schwach wassergefährdend (WGK 1)
eingestuft. In der Kombination als Nitriersäure ist ein höheres
Gefährdungspotential zu konstatieren (WGK 2) (ROTH/DAUNDERER).
Oleum reagiert heftig bei einer Vermischung mit Wasser. Hierbei wird viel Wärme
freigesetzt und es entsteht Schwefelsäure (vgl. oben) (HOMMEL 1993). Oleum ist
als wassergefährdende Substanz (WGK 2) eingestuft (ROTH/DAUNDERER).
Auch bei Tetrachlormethan und Tetrachlorethen ist nach der LAGA-Liste eine
Ausbreitung über den Wasserpfad möglich (LAGA 1991). Tetrachlormethan löst
sich kaum in Wasser und sinkt ab (HOMMEL 1993). Es ist ein sehr gefährlicher
Wasserschadstoff (WGK 3) (ROTH/DAUNDERER). Tetrachlorethen löst sich nur
geringfügig in Wasser und sinkt ebenfalls ab (HOMMEL 1993). Es ist in die
Wassergefährdungsklasse 3 eingestuft (ROTH/DAUNDERER).
2,3,7,8-TCDD ist nach der LAGA-Liste nicht relevant für den Wasserpfad (LAGA
1991). Ähnlich wie bei den PAK wird davon ausgegangen, daß Dioxine im Boden
nur wenig mobil sind (RÖMPP 1989/92).
Quecksilber und Quecksilberverbindungen sind nach der LAGA-Liste ebenfalls als
relevant für den Gefährdungspfad Wasser gekennzeichnet (LAGA 1991).
Quecksilber(II)chlorid ist schwerer als Wasser und sinkt unter. Es bilden sich
giftige und ätzende Gemische mit Wasser, die auch bei großer Verdünnung noch
wirksam sind (HOMMEL 1993). Quecksilber(II)chlorid ist zudem ein sehr
gefährlicher Wasserschadstoff (WGK 3) (ROTH/DAUNDERER).
1.3.5 Gefährdungspfad Luft
Säuren sind nach der LAGA-Liste generell als relevant für den
Gefährdungspfad Luft gekennzeichnet (LAGA 1991). Es ist jedoch davon
auszugehen, daß sowohl die Salpetersäure als auch die Schwefelsäure in
dissoziierter Form im Boden als Nitrat bzw. Sulfat vorliegen. Die Gefahr der
Ausgasung über die Bodenluft wird daher als gering eingeschätzt.
Oleum entwickelt bei normaler Temperatur an der Luft dichte weiße Nebel (HOMMEL
1993). Aufgrund der heftigen Reaktion bei Wasserzutritt und der Bildung von
Schwefelsäure ist eine Gefährdung über den Luftpfad analog der oben genannten
Säuren zu beurteilen.
Die Ausbreitungsmöglichkeit über den Luftpfad für die in der LAGA-Liste nicht
verzeichneten anorganischen Bleichmittel (Chlorkalk, Natriumhypochlorid) wird
als gering eingeschätzt.
Tetrachlormethan und Tetrachlorethen hingegen sind in der LAGA-Liste als
relevant bezüglich des Gefährdungspfades Luft eingestuft (LAGA 1991). Beim
Freiwerden und Vermischen mit Luft bilden sich nach HOMMEL giftige Gemische, die
schwerer als Luft sind und am Boden entlang kriechen (HOMMEL 1993).
Nach der LAGA-Liste ist zu erwarten, daß Quecksilber und seine Verbindungen
sich über den Luftpfad, d. h. über die Gasphase (auch aus wässrigen
Lösungen), ausbreiten können. Der für ein Schwermetall relativ hohe
Dampfdruck und bekannte Schadensfälle geben Anlaß für diese Einstufung. Eine
inhalative Aufnahme quecksilberhaltiger Dämpfe ist daher nicht auszuschließen.
Bei 2,3,7,8-TCDD ist nach der LAGA-Liste grundsätzlich die Möglichkeit einer
Ausbreitung über den Luftpfad gegeben (LAGA 1991).
1.3.6 Gefährdungspfad Pflanze
Bezüglich des Gefährdungspfades Pflanze gehen von den eingesetzten Säuren
nach der LAGA-Liste negative Eigenschaften aus (LAGA 1991). Gleiches wird auch
für Oleum angenommen, das bei Wasserzutritt zu Schwefelsäure reagiert und
daher ähnlich zu bewerten ist.
Über die Auswirkungen der anorganischen Bleichmittel (Chlorkalk,
Natriumhypochlorid) auf den Pflanzenpfad liegen keine Informationen vor.
Die organischen Lösungsmittel (Tetrachlormethan, Tetrachlorethen) sind nach der
LAGA-Liste bezüglich des Gefährdungspfades Pflanze nicht eingestuft.
Quecksilber und seine Verbindungen können aufgrund ihrer Eigenschaften entweder
pflanzenschädigend wirken oder für den Menschen schädliche Rückstände in
Nutzpflanzen bilden. Eine Aufnahme dieser Verbindungen über den Pflanzenpfad
ist daher nicht auszuschließen.
Bezüglich des Gefährdungspfades Pflanze ist 2,3,7,8-TCDD in der LAGA-Liste
noch nicht bewertet worden (LAGA 1991).