1. Allgemeines und Geschichtliches

Nitroglycerin wurde erstmals im Jahr 1847 von SOBRERO durch Veresterung von Glycerin mit Salpetersäure und Schwefelsäure dargestellt. Er erkannte schnell den Sprengstoffcharakter der erhaltenen öligen Flüssigkeit. Die erste großtechnische Herstellung von Nitroglycerin wurde 1862 von NOBEL in Heleneborg bei Stockholm und 1863 von PETRUSCHEVSKIJ in Leningrad aufgenommen. Aufgrund der hohen Schlagempfindlichkeit des öligen Nitroglycerins, auch "Sprengöl" genannt, kam es in der Anfangszeit häufig zu ungewollten Explosionen, bis NOBEL im Jahr 1867 zufällig entdeckte, daß Nitroglycerin von Kieselgur adsorbiert wird und dann seine Schlagempfindlichkeit verliert. An Kieselgur adsorbiertes Nitroglycerin ist unter dem Namen "Dynamit" bekannt. Das nun handhabungssichere adsorbierte Nitroglycerin ("Dynamit") fand sehr schnell weltweite Verbreitung und ersetzte als ziviler Sprengstoff bald Schwarzpulver. Weitere von NOBEL entwickelte Nitroglycerin-Sprengstoffe sind die sog. Sprenggelatine (Mischung von Kollodiumwolle mit Nitroglycerin), verschiedene Dynamite (Sprenggelatine in Mischungen mit Natriumnitrat oder Ammoniumnitrat) und rauchloses Nitroglycerinpulver, das sog. "Ballisit". Nitroglycerin wird auch in Mischungen in gewerblichen Ammonsalpetersprengstoffen eingesetzt (URBANSKI 1963).
Im 1. Weltkrieg und teilweise auch schon in der Zeit vor 1900 wurde Nitroglycerin bzw. Dynamit in den Fabriken in Bensberg, Brandenburg-Plaue, Coswig, Dömitz, Geesthacht-Krümmel, Hohenlimburg, Leverkusen, Neumarkt, Reinsdorf, Sythen und Würgendorf produziert (UBA 1992).
Im Jahr 1936 wurden in Deutschland 6.600 t Nitroglycerin hergestellt, 2.600 t entfielen auf zivile und 4.000 t auf militärische Zwecke (BA/MA RH 3/252).
Während des 2. Weltkrieges wurde Nitroglycerin bzw. Dynamit in Coswig, Dreetz, Forst, Geesthacht-Krümmel, Gnaschwitz, Klietz, Kraiburg, Leverkusen, Liebenau, Neumarkt und Reinsdorf hergestellt (UBA 1992).

2. Herstellung von Nitroglycerin

In Deutschland wurden bis zum Ende des 2. Weltkrieges im wesentlichen kontinuierliche Methoden zur Nitroglycerin-Herstellung im industriellen Maßstab eingesetzt. Im folgenden werden zwei kontinuierliche Methoden nach URBANSKI (1963) beschrieben, die im 2. Weltkrieg eingesetzt wurden.

2.1 Kontinuierliche Nitroglycerin-Herstellung nach der Methode von SCHMID-MEISSNER

In SCHMID-MEISSNER-Anlagen konnte neben Nitroglycerin auch Diethylenglycoldinitrat (DEGN) hergestellt werden. Anlagen des SCHMID-MEISSNER-Typs wurden u.a. von der Fa. EIBIA zur Nitroglycerin- und DEGN-Herstellung eingesetzt (BIOS 1039). Der Produktionsablauf ist in URBANSKI (1963) beschrieben. In Bild 1-19 ist der Prozeß als Fließbild dargestellt.
Die Mischsäure wird über einen keramischen Filter von Verunreinigungen befreit und in einen Vorratsbehälter eingefüllt. Von diesem Vorratsbehälter wird die Mischsäure mit Druckluft in diskreten Mengen in den Nitrator gedrückt. Die Zusammensetzung der Mischsäure ist nicht angegeben. Das Glycerin wird in einem Vorratsbehälter erwärmt, mit einem Filter aus Bronzegewebe gefiltert, in ein Dosiergefäß überführt und von dort in diskreten Mengen in den Nitrator geleitet.
Die Mischung wird gerührt, es entsteht permanent Nitroglycerin. Die Oberphase der Reaktionsmischung wird kontinuierlich aus dem Nitrator in einen Separator geleitet, wo sich die Abfallsäure (Unterphase) von dem öligen Nitroglycerin (Oberphase) scheidet. Ebenfalls kontinuierlich wird Abfallsäure über einen Syphon am Boden des Nitrators in einen Abfallsäurebottich geleitet. Die Abfallsäure aus dem Separator wird auch in diesen Bottich geleitet. Von dort wird sie mit Druckluft in ein Nachscheidegefäß gedrückt, in dem sich weiteres Nitroglycerin abscheidet. Die Nitroglycerinphasen werden vereinigt und das Nitroglycerin gewaschen.
Bei Beginn der kontinuierlichen Produktion ist das entstandene Nitroglycerin mit Rückständen aus dem Nitrator und dem Separator verunreinigt, es ist trübe. Das trübe Nitroglycerin wird in die Hilfswäsche überführt. Die Waschkolonnen bestehen aus nichtrostendem Stahl bzw. Glasringen, die mit Stahlstangen zusammengehalten werden. Am Kopf der Kolonne liegt ein Entlüftungsrohr, der Boden ist gelocht. Die Wäsche wird ebenfalls kontinuierlich durchgeführt.
In die erste Waschkolonne wird eine Emulsion aus Nitroglycerin und kaltem Wasser eingeführt und in den unteren Teil der Kolonne geleitet. Die Emulsion wird gerührt, zusätzlich wird durch den gelochten Boden Druckluft eingeblasen. Die Emulsion steigt nach oben und wird über einen Überlauf in einen Zwischenseparator geführt, in dem sich das Nitroglycerin vom Wasser scheidet.
Dieses Nitroglycerin wird mit 3 %iger Natriumcarbonat-Lösung emulgiert und in einer zweiten Waschkolonne wie oben beschrieben gewaschen, in einen Separator geleitet und die Natriumcarbonat-Lösung vom Nitroglycerin getrennt. Das Nitroglycerin wird mit warmem Wasser emulgiert und in einer dritten Waschkolonne gewaschen. Nach der dreistufigen Wäsche wird das Nitroglycerin erneut mit verdünnter Natriumcarbonat-Lösung emulgiert. Die Emulsion wird über eine Schikane geleitet, wo die endgültige Trennung vorgenommen wird. Das Nitroglycerin wird im letzten Schritt mit Wasser stabil gewaschen (URBANSKI 1963).
Als Ausgangsprodukte werden benötigt:
- Salpetersäure
- Schwefelsäure
- Glycerin
- Natriumcarbonat und
- Wasser.
Es fällt Abfallsäure an, die mit einigen Prozent Nitroglycerin sowie mit Dinitroglycerin und Estern der Schwefel- und Salpetersäure verunreinigt ist. Die Ester der Schwefel- und Salpetersäure setzen sich im Abfallsäurebottich teilweise zu Nitroglycerin um. Ein Teil der Abfallsäure wird zu Beginn der kontinuierlichen Nitrierung eingesetzt, der Rest wird durch Denitrierung und Hochkonzentration regeneriert. Die Verluste an Salpetersäure betragen ca. 8 %, die an Schwefelsäure ca. 1 %. Der Verlust an Glycerin beträgt ca. 2 % (URBANSKI 1963).
Die Abwässer der Natriumcarbonat- und Wasserwäschen sind mit Nitroglycerin verunreinigt (Wasserlöslichkeit bei 20 °C: 1,8 g/l). Neben Nitroglycerin ist als Nebenprodukt in den Abwässern auch Dinitroglycerin vorhanden. Diese Abwässer sind sauer und können in Absetzbecken mit Kalk neutralisiert werden. In einem Patent der Dynamit AG aus dem Jahr 1918 wird die Neutralisation des Wassers mit Ammoniak und nachfolgender Eindampfung empfohlen. Es wird ein Gemisch erhalten, das Nitrate und Sulfate enthält. Der Einsatz dieses Gemisches als Düngemittel wird empfohlen (URBANSKI 1963).

2.2 Kontinuierliche Nitroglycerin-Herstellung nach der Methode von BIAZZI

In URBANSKI (1963) ist die kontinuierliche Nitroglycerin-Herstellung nach der Methode von BIAZZI am Beispiel der Fabrik Schlebusch beschrieben. In Bild 1-20 ist der Prozeß als Fließbild dargestellt.
Die Mischsäure, bestehend aus je 50 % Salpetersäure und 50 % Schwefelsäure, wird 10 Tage vor Verwendung in einem Behälter angesetzt. In dieser Zeit setzen sich Verunreinigungen ab, die entfernt werden. Die Mischsäure wird über einen Gewebefilter in einen Nitrator mit Rührwerk und Kühlmantel, der ein Volumen von 250 l besitzt, gedrückt. Die Kühlung wird mit sogenannter "Sole", einer wäßrigen Natriumnitrat-Lösung, vorgenommen.
Das Glycerin und die Mischsäure werden im Verhältnis 1:5 in den Nitrator eingeführt.
Zur Vermeidung von Explosionen (bei starker Temperaturerhöhung des Reaktionsgemisches) ist am unteren Ende des Nitrators ein Glasring angebracht, der sich mit einem Hammer pneumatisch zertrümmern läßt. Der Inhalt des Nitrators fließt nach Zertrümmerung des Glasringes in einen mit 95 %iger Schwefelsäure gefüllten Sicherheitsbottich.
Drei bis vier Minuten nach Beginn der Nitrierung wird die überstehende Emulsion über einen Überlauf aus dem Nitrator in einen zylindrischen Separator aus nichtrostendem Stahl geleitet. Durch die tangentiale kontinuierliche Zuführung der Emulsion wird eine schnelle Trennung von Nitroglycerin (Oberphase) und Abfallsäure (Unterphase) erreicht. Die Phasentrennung erfolgt bei Anwendung der BIAZZI-Methode innerhalb von 10 Minuten.
Die Abfallsäure fließt kontinuierlich durch einen Syphon am Boden des Separators in einen zweiten Separator, in dem sich weiteres Nitroglycerin abscheidet. Nach der zweiten Nitroglycerin-Abscheidung wird die Abfallsäure in ein Verdünnungsgefäß geleitet und dort mit 3-4 % Wasser verdünnt. Die verdünnte Abfallsäure wird in ein Nachscheidegefäß geleitet, wo die letzte Nitroglycerin-Abscheidung erfolgt. Aus 1.000 kg Abfallsäure werden in der Nachscheidung 6 kg Nitroglycerin gewonnen. Die Abfallsäure besitzt die Zusammensetzung 11 % Salpetersäure, 73,7 % Schwefelsäure, 14 % Wasser und 1,3 % Nitroglycerin.
Die abgeschiedenen Nitroglycerin-Phasen werden vereinigt. Das Nitroglycerin läuft in das erste Waschgefäß aus nichtrostendem Stahl, in dem es unter Rühren mit Wasser gewaschen wird. Die wäßrige Lösung wird in einen Separator geleitet, wo sich das Nitroglycerin vom Wasser scheidet. Das Waschwasser enthält 10,6 % Salpetersäure, 11 % Schwefelsäure und 0,7 % Nitroglycerin. Es wird zur Nachscheidung in einen Separator geleitet. In der zweiten Wäsche wird das Nitroglycerin mit einer 15 %igen Natriumcarbonat-Lösung in einem Gefäß aus nichtrostendem Stahl mit Rührwerk neutralisiert. Die Emulsion wird nach Beendigung der Wäsche in einen Separator geleitet, in dem das Nitroglycerin von der Natriumcarbonat-Lösung getrennt wird.
Das gewaschene Nitroglycerin wird in einen Aluminiumtankwagen geleitet und im Nitroglycerinlager in Aluminiumtanks in Chargen von 600 kg gelagert. Das gewaschene Nitroglycerin enthält ca. 1,5 % Wasser, das sich im Verlauf einiger Tage an der Oberfläche des Nitroglycerins abscheidet und abgesaugt wird.
Mit dieser kontinuierlichen Methode können 800-1.000 l Nitroglycerin pro Stunde produziert werden.
Aus 1.000 kg Glycerin gewinnt man 2.320 kg Nitroglycerin. Der Energieverbrauch liegt bei 75 m3 Druckluft, 7,5 kWh Strom und 7,5 m3 Wasser.
Als Ausgangsprodukte werden benötigt:
- Salpetersäure
- Schwefelsäure
- Glycerin
- Natriumcarbonat
- Natriumnitrat und
- Wasser.
Es fällt eine Abfallsäure der Zusammensetzung 11 % Salpetersäure, 73,7 % Schwefelsäure, 14 % Wasser und 1,3 % Nitroglycerin an. Die Abfallsäure wird durch Denitrierung und Hochkonzentration regeneriert.
Das Abwasser der ersten Wäsche ist sauer. Es enthält 10,6 % Salpetersäure, 11 % Schwefelsäure und 0,7 % Nitroglycerin. Ein Teil des Nitroglycerins wird durch Nachscheidung zurückgewonnen. Das Abwasser der Natriumcarbonatwäsche enthält ebenfalls Nitroglycerin, von dem ein Teil bei der Nachscheidung zurückgewonnen wird. Neben Nitroglycerin ist in den Abwässern als Nebenprodukt auch Dinitroglycerin vorhanden (URBANSKI 1963).

3 Kontaminationsrelevante Vorgänge

3.1 Emissionen aus der Produktion

Da die Produktion in einem geschlossenen Behälter kontinuierlich durchgeführt wurde, sind Bodenkontaminationen im Bereich der Produktions- und Lagergebäude unwahrscheinlich.

3.2 Abwässer

Bei der Produktion fallen Abwässer in Form von Waschwässern sowie Gebäudereinigungswässer an. Diese Abwässer sind z.T. sauer, z.T. basisch und enthalten Nitroglycerin und Dinitroglycerin. Eventuell wurde eine Neutralisation der sauren Abwässer durchgeführt. Bei einer Neutralisation mit Ammoniak und nachfolgender Eindampfung des Wassers wird ein Produkt erhalten, das Nitrate und Sulfate enthält. Dieses Produkt ist gering mit Nitroglycerin und Dinitroglycerin verunreinigt.
Teile des Kanalisationssystemes können mit Produktionsrückständen kontaminiert sein. Aufgrund von Undichtigkeiten des Kanalisationssystems kann es zu Emissionen gekommen sein.
Bei einer Einleitung in den Vorfluter ist eine Kontamination ufernaher Bereiche denkbar.

3.3 Sonstiges

In Bereichen, in denen während der Produktionszeit Unfälle, Brände und Explosionen stattgefunden haben, sind Bodenkontaminationen zu erwarten.
Die nach dem 1. und 2. Weltkrieg durchgeführten Delaborierungs- und Demontagemaßnahmen haben zu weiteren Bodenkontaminationen geführt. Viele Standorte werden heute gewerblich bzw. zu Wohnzwecken genutzt, was zu einer weiteren Verteilung von Produktionsrückständen geführt hat. Das Abtragen von Wällen, die um explosionsgefährdete Gebäude errichtet wurden, hat zu weiteren unsystematischen Verteilungen von Rückständen geführt (HAAS 1989).

4. Einschätzung der Umweltrelevanz

4.1 Nitroglycerin

Nitroglycerin ist eine organische Substanz. Es gehört zur Gruppe der Nitratester. Nitroglycerin ist eine ölige Flüssigkeit.
Es wird über die Haut resorbiert und inhalativ aufgenommen. Akute toxische Wirkung äußert sich in durch Methämoglobinbildung ausgelöster Cyanose, Kopfschmerzen und Beeinflussung des zentralen Nervensystems. Von Todesfällen bei der Aufnahme höherer Dosen wurde berichtet, aber auch spontane Todesfälle nach chronischer Aufnahme geringerer Dosen sind bekannt geworden. Nitroglycerin ist mutagen im AMES-Test (UBA 8/93 - Teilvorhaben Explosivstofflexikon).
Nitroglycerin ist flüchtig und unterliegt im Wasser einer langsamen Hydrolyse. Die Wasserlöslichkeit ist mit 1,8 g/l bei 20 °C hoch. Ein Übergang in die Bodenluft und das Grundwasser ist wahrscheinlich. Nitroglycerin besitzt ein hohes Gefährdungspotential für Bodenluft, Grundwasser und Boden (UBA 8/93 - Teilvorhaben Explosivstofflexikon).

4.2 Dinitroglycerin

Dinitroglycerin ist eine organische Substanz. Es gehört zur Gruppe der Nitratester. Dinitroglycerin ist eine farblose und geruchlose ölige Flüssigkeit.
Dinitroglycerin wird wahrscheinlich über die Haut resorbiert und inhalativ aufgenommen. Akute toxische Wirkung äußert sich in durch Methämoglobinbildung ausgelöster Cyanose, Kopfschmerzen und Beeinflussung des zentralen Nervensystems (UBA 8/93 - Teilvorhaben Explosivstofflexikon).
Dinitroglycerin ist flüchtig und unterliegt im Wasser eventuell einer langsamen Hydrolyse. Die Wasserlöslichkeit ist höher als die von Nitroglycerin. Ein Übergang in die Bodenluft und das Grundwasser ist wahrscheinlich. Dinitroglycerin besitzt ein hohes Gefährdungspotential für Bodenluft, Grundwasser und Boden (UBA 8/93 - Teilvorhaben Explosivstofflexikon).

5. Stoffinventar

5.1 Herstellung von Nitroglycerin nach der SCHMID-MEISSNER-Methode

Bezeichnung Stoff
Ausgangsstoff Glycerin
Nitrierung Salpetersäure
Schwefelsäure
Produktion Wasser
Wäsche Natriumcarbonat
Produkt Nitroglycerin
Nebenprodukt Dinitroglycerin
Abwasserneutralisation Kalk
Rückstand Gips
Abwasserneutralisation Ammoniak
Rückstand Nitrat, Sulfat


5.2 Herstellung von Nitroglycerin nach der BIAZZI-Methode

Bezeichnung Stoff
Ausgangsstoff Glycerin
Nitrierung Salpetersäure
Schwefelsäure
Produktion Wasser
Kühlung Natriumnitrat
Wäsche Natriumcarbonat
Produkt Nitroglycerin
Nebenprodukt Dinitroglycerin
Abwasserneutralisation Kalk
Rückstand Gips